Academic Confucius Institute at the Georg-August-Universität Göttingen

Am Donnerstagnachmittag, den 22.08.2019, wurde in den Räumlichkeiten der Georg-August-Universität Göttingen das erste Chinesisch-Lehrer*innenforum von Prof. Dr. Andreas Guder eröffnet. Dieser hob in seiner Begrüßungsrede den besonderen Charakter dieses Forums hervor, da die mehrtägige Veranstaltung speziell zum kollegialen Austausch in der Ausbildung befindlicher und junger Chinesischlehrer*innen und zur Vermittlung fachspezifischer Inhalte durch die geladenen Referentinnen diente. Mit einer Teilnehmerzahl von über 20 Personen, welche sich zu etwa gleichen Anteilen aus Studierenden, Lehrer*innen und anderweitig Dozierenden zusammensetze, lagen die besten Voraussetzungen für einen anregenden Austausch und Kompetenzerweiterung vor.

Den ersten Nachmittag des Forums gestaltete Frau Dr. JIN Meiling (Sinologie Universität Frankfurt) mit einem auf die Lehrtätigkeit zugeschnittenen Aussprachetraining, gestützt durch eine Einführung in das Thema Phonetik. Zu Beginn führte Frau Dr. Jin mit jedem/r nicht-muttersprachlichen Teilnehmenden einzeln einen kurzen Aussprachetest mit persönlichem Feedback durch. Daran anknüpfend stellte sie in einem Vortrag mögliche Faktoren für Ausspracheprobleme vor, wie muttersprachlichen Transfer in die Zielsprache, Ersetzungen aus anderen Fremdsprachen, fehlerhafte Artikulationsangewohnheiten, psychologische Faktoren, Ausweichstrategien, sowie die Fossilisierung von Aussprachefehlern während des Lernprozesses. Im Anschluss daran wurde zunächst vertiefend auf die Themen Transfer und Interferenzen zwischen Deutsch und Chinesisch eingegangen. Frau Jin stellte anhand von Beispielen wie Frage- und Aussagesätzen dar, wie häufig deutscher Wortakzent auf chinesische Silbenkombinationen übertragen oder deutsche Satzmelodie auf chinesische Sätze angewendet wird und wie dies zu Aussprachemängeln führen kann. Daraus wurde geschlussfolgert, dass Prosodie und Intonation als Fehlerquelle im fremdsprachlichen Chinesischunterricht nicht vernachlässigt werden dürfen. Anschließend gingen die Teilnehmenden in eine Praxisphase über, in welcher sie Übungen zu Prosodie und Intonation chinesischer Sätze bearbeiteten. Neben der praktischen Einübung der Sätze in Partnerarbeit wurde die Plenumsdiskussion dafür genutzt, die Sätze hinsichtlich ihres Schwierigkeitsgrades für Chinesischlernende zu diskutieren. Hierbei wurde die Segmentierung und Pausensetzung in chinesischen Sätzen als wesentliche Herausforderung für Chinesischlernende herausgestellt. Zum Abschluss bot Frau Jin didaktische Vorschläge und Übungsmethoden für den Chinesischunterricht an. Generell sollten Lehrkräfte die Aufmerksamkeit der Lernenden weniger auf die richtige Artikulation einzelner Laute und Silben lenken, sondern verstärkt auf ganze Äußerungen in verschiedenen Kommunikationssituationen, um auch Prosodie und Intonation des Chinesischen auf natürliche Art und Weise zu vermitteln.  Als Unterrichtsmethoden bieten sich Ausspracheübungen an, die sich gezielt mit unterschiedlichen Betonungsmustern und Tonhöhen befassen, sowie das explizite Aufsagen emotionsgeladener Sätze oder auch Tang-Gedichte, um Tonkombinationen zu verinnerlichen. Neben Drillübungen sollte auch das Üben von Wort-Segmentierung und Pausensetzung auf Satz- und Textebene im Chinesischunterricht seine Berücksichtigung finden.

Den zweiten Tag des Forums gestaltete Kathleen Wittek (Bettina-von-Arnim-Schule Berlin-Reinickendorf) zur Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz im Chinesischunterricht an Schulen. Frau Wittek begann mit einem Vortrag, in welchem sie einen historischen Abriss der Entwicklung von Modellen der interkulturellen Kompetenz lieferte, die aus verschiedenen Forschungsfeldern wie Anthropologie, Psychologie und Linguistik stammten. Die vorgestellten Modelle umfassten das Modell der Kulturen und das Eisbergmodell von Hall/Hall (1990), das Zwiebelschalenmodell von Trompenaars (1998) sowie die Kulturdimensionen nach Hofstede (2006). Gemeinsam war diesen Modellen zwar ihr Nutzen zur gezielten Untersuchung von Kulturen, jedoch auch die Kritik, dass diese Anwendung starrer Modelle Stereotypisierungen begünstige. Im Folgenden fanden auch die Forschungsbereiche der interkulturellen Bildung und der interkulturellen Kommunikation sowie die Kulturstandards von Alexander Thomas (Thomas et al. 2005) ihre Erwähnung. Als letzter Punkt des Vortrags wurde das Modell der interkulturellen kommunikativen Kompetenz von Byram (1997) vorgestellt. Besonderer Fokus lag dabei auf der Beschreibung der „savoirs“ und dem Problem der Messbarkeit interkultureller kommunikativer Kompetenz. Das Modell von Byram findet Anwendung in den Kernlehrplänen, in welchen als oberstes Ziel des Fremdsprachenunterrichts die Ausbildung der interkulturellen fremdsprachigen Handlungsfähigkeit, die sich aus kommunikativen, methodischen und interkulturellen Kompetenzen zusammensetzt, hervorgehoben wird.  Aufgabe der anschließenden Arbeitsphase war es, in Gruppen zu diskutieren und zu erörtern, wie interkulturelle Themen, beispielsweise Familiennamen, Wohnsituationen und Schulsystem, im Unterricht didaktisiert und vermittelt werden könnten. Nach der Vorstellung der Ergebnisse der Ausarbeitungen der einzelnen Gruppen wurden in der nächsten Arbeitsphase die Lehrwerke Ni Shuo ne und Tongdao bezüglich der Vermittlung interkultureller Kompetenzen kritisch geprüft. Hierbei konnte herausgearbeitet werden, dass hinsichtlich der Vermittlung interkultureller Kompetenzen zu wenige und veraltete Texten zu finden waren und Selbstreflexion in den Aufgabenstellungen kaum gefördert wurde. Nichtsdestotrotz wurde das Lehrwerk Tongdao als positives Beispiel hervorgehoben, da hier diverse kulturelle Themen auch mithilfe visueller Unterstützung aufgegriffen werden. Im letzten Teil des Workshops konnten sich die Teilnehmenden über unterrichtsergänzende Materialien zur Vermittlung (inter)kultureller Kompetenzen austauschen. Hierbei wurde über die Möglichkeit diskutiert, neben Comics und Filmen im Unterricht auch außerschulische Lernorte zu nutzen. Abschließend wurden Beispiele von diskontinuierlichen Texten gegeben und auch über deren Einsatz im Chinesischunterricht diskutiert.

Am letzten Tag des Forums stellte Frau Dr. Antje Benedix (Remscheid) ihre Erfahrungen mit der Methode „Simulation Globale“ im Chinesischunterricht vor. Zunächst stellte Frau Benedix in einem Vortrag den historischen und theoretischen Hintergrund der „Simulation Globale“ vor, welche in Frankreich im Kontext der kommunikativen Wende in den 1970ern entwickelt wurde. Sie wird definiert als ein gemeinsames kreatives Projekt im Fremdsprachenunterricht, bei dem die Schülerinnen und Schüler für eine längere Zeit fiktive Rollen einnehmen und diese ausgestalten können (Caré und Debyser 1995). Im Unterschied zu Rollenspielen gibt es bei der „Simulation Globale“ keine Vorführungen, sondern im Vordergrund steht vor allen Dingen die Problemlösung. Dabei werden die Lernenden als ganze Person mit ihren eigenen Emotionen, Wünschen und Ideen eingebunden und verfügen über viele Freiräume, um eigene Ideen zu entwickeln. Im Gegensatz zu dramapädagogischen Ansätzen ist die „Simulation Globale“ also „Realität“. Als offener, ganzheitlicher und lösungsorientierter Ansatz kann sie die Motivation steigern und das Selbstbild der Lernenden berücksichtigen, die dadurch mehr Interesse und Spaß am Unterricht entwickeln und quasi „nebenher“ beispielsweise neuen Wortschatz erwerben. Außerdem werden in einer „Simulation Globale“ alle Lernenden eingebunden, der sprachliche Umsatz erhöht und eine Automatisierung von Sprachfertigkeiten gefördert. Nicht zuletzt ermöglicht die „Simulation Globale“ den Lernenden ein besseres Einfühlen in die Zielkultur, was die interkulturelle Kompetenz fördert. Nachteile dieser Methode bestehen beispielsweise darin, dass die gruppendynamischen Entwicklungen während der Simulation nur schwer kontrollierbar sind, sowie in der schweren Operationalisierbarkeit und dem hohen zeitlichen Aufwand bei Vorbereitung und Durchführung der Simulation. Daraufhin versuchten sich die Teilnehmenden selbst an der Erstellung einer „Simulation Globale“ für den Chinesischunterricht. Hierbei konnten wichtige Aspekte herausgearbeitet werden, die es bei der Erstellung einer Simulation Globale zu beachten gibt: Der erste Schritt ist das Festlegen des Settings, wie beispielsweise ein Wohnblock in Beijing, in dem verschiedenste Figuren vorkommen (Eltern, Kinder, Alleinstehende, Senioren usw.). Die Lehrkraft kann dabei grobe Vorgaben machen oder mehrere Figuren einer Wohngruppe oder Familie zuordnen. Es bleibt jedoch die Aufgabe der Lernenden, ihre Rolle, bei der beispielsweise nur Name, Alter, Beruf und Familienstand vorgegeben sind, mit Leben zu füllen. Während der Simulation muss die Lehrkraft die Lernenden immer wieder mit Aufgaben versorgen: Dies können Ereignisse und Probleme sein, welche die Lernenden dann in der Interaktion mit anderen lösen müssen, wie zum Beispiel die Planung eines Ausflugs, der Umgang mit einer Krankheit, die Klärung eines Streits, etc. Zur Ergebnissicherung der Simulation Globale bieten sich beispielsweise Tagebucheinträge oder andere schriftliche Formen an, in denen die Lernenden das Erlebte nacherzählen können. Im Gespräch mit den Teilnehmenden des Workshops machte Frau Benedix deutlich, dass nur sehr wenig visueller Input nötig sei, um die Simulation am Laufen zu halten, da die Lernenden bereitwillig ihre eigene Phantasie benutzen würden. Hilfestellung bei benötigten Vokabeln sei allerdings elementar – dies kann zum Beispiel durch Vokabellisten, durch das direkte Gespräch zwischen Lehrkraft und Lernenden oder durch die Lernenden selbst, zum Beispiel durch Verwendung eines Wörterbuchs, gelöst werden. Eine Kombination von „Simulation Globale“ und Unterricht mit einem Lehrwerk kann das Problem der fehlenden Redemittel und Vokabeln ebenfalls abschwächen. Beschlossen wurde der Tag mit der Vorstellung der Ergebnisse und der Zusammenfassung der gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse zur Erstellung einer Simulation Globale im Kontext des Chinesischunterrichts.

Das Forum wurde von allen Teilnehmern als großer Gewinn für die eigene Lehrtätigkeit betrachtet, und es wurde allseits der Hoffnung Ausdruck verliehen, ein solches Forum auch 2020 durchzuführen.

Caroline Schake

(in Zusammenarbeit mit Alice Cheng, Jonas Schmid und Timm Tondorf)

 

Literaturverzeichnis

 

Byram, Michael (1997), Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence, Bristol: Multilingual Matters.

Caré, Jean-Marc; Debyser, Francis (1995), Simulations Globales: CIEP.

Hall, Edward T.; Hall, Mildred (1990), Understanding Cultural Differences, Yarmouth, Maine: Intercultural Press.

Hofstede, Geert (2006), Lokales Handeln, globales Denken. Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management, München: dtv.

Thomas, Alexander; Kinast, Eva-Ulrike; Schroll-Machl, Sylvia (Hrsg.) (2005), Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation. Band 1: Grundlagen und Praxisfelder, Göttingen: Vandenhoek& Ruprecht.

Trompenaars, Fons; Hampden-Turner, Charles (1998), Riding the Waves of Culture: Understanding Cultural Diversity in Business, New York: McGraw Hill.